[Texte zur documenta]

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documenta 15 (2022)

Erste Eindrücke
Mein erster Weg führte mich in das RuRu-Haus. Es war schön zu sehen, wie sich die alte Kaufhalle verwandelt hat. Alles war hell und freundlich. Links ein kleines Café, rechts ein Infostand. Hinten die Bücher. Ich habe mich sehr gefreut, mein Buch über Arnold Bode dort zu finden.
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kurze Film-takes:
-Klavier
-Gesang
-Schlagzeug
-Film
-Hotel Hessenland


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documenta 14 (2017)

Erste Eindrücke
Der „Parthenon“ der Bücher wächst schon seit Wochen: Stahlgerüste wurden aufgestellt, Bücher in Kunststofffolien darauf gepackt, Bücher wie „Harry Potter“ und „Tod in Venedig“, verbotene Bücher, wir hatten das schon vergessen oder nie gewusst. Dass der „Parthenon“ auf den Friedrichsplatz passt ist schon eine erstaunliche Tatsache. So groß ist der Platz. Rauch steigt vom Zwehrener Turm auf, eine Stele steht auf dem Königplatz so großartig, als ob sie schon immer dort gestanden hätte. Sie sollte dort stehen bleiben. Im alten Haus „Leder Meid“ ist viel los, viele Menschen stehen für die Akkreditierung an. Vor noch nicht so langer Zeit war dort das Traditionsgeschäft „Leder Meid“, Handtaschen, Geldbörsen, Lederjacken, Ledermäntel. Leder Meid musste - nach fast hundert Jahren - schliessen. 1955 wurde dieses Haus von Werner Hasper gebaut, dem Hasper, der auch die Treppenstraße geplant hat und der für den Wiederaufbau Kassels an maßgelblicher Stelle mitverantwortlich zeichnet. Wir hatten uns für den Erhalt des Gebäudes eingesetzt, dafür aber kaum Resonanz bekommen. Polizei überall, Mannschaftswagen. Der Platz ist vollgestellt mit Containern. Im Fridericianum empfängt uns in der Eingangshalle ein großer Teppich, der aber nur eine Projektion ist, die Muster bewegen sich; dennoch hat man scheu, darüber zu gehen.

Kunstwerke (1)
The Raft (2004, 10 min) von Bill Viola *ist eine sehr beeindruckende Videoarbeit. Wir sehen eine Gruppe von ganz unterschiedlichen Menschen stehen, als ob Sie auf den Bus warten würden. Ihre Bewegungen sind sehr langsam. Dann kommt von rechts und von links ein dicker Strahl Wasser auf die Gruppe zu und wirft sie buchstäblich um. Manche wenden dem Wasserstrahl den Rücken zu, andere scheinen sich ihm stellen zu wollen, sich gegen ihn zu wehren, gegen ihm zu kämpfen. Dann lässt die Wucht der die Wassermassen langsam nach, die Leute erholen sich, erwachen quasi wieder zum Leben und helfen sich gegenseitig auf, manche umarmen sich.


*Bill Viola wurde 1951 in New York geboren.


Zweiter Tag
Die Halle hinter dem Hochhaus der Hauptpost ist schwer zu finden, aber sie ist sehr eindrucksvoll. Große Videoprojektionen (aus Dahlem!), ein Vorhang aus Rentierköpfen. Dann viele Treppen hoch, dort der Verkauf von Schuhen? Der Dark-Room nur für einen bestimmte Gruppe, Hilfe! kein Ausgang. Die Gottschalkhalle, ich verirre mich hinter Bauzäumen. Schach- Kommunes Leben - Das Positive: Diese Kunst ist nicht zu verkaufen, kein Kommerz.

Kunstwerke (2)
Ein Vorhang aus Rentierschädeln von Maret Anne Sara. Seit Langem zwingt die norwegische Regierung die Samen, ihre Herden zu dezimieren, also Rentiere zu töten. Der Grund dafür seien Überweidung und irreparable Schäden an der Umwelt, heißt es offiziell.

LINK 3-Sat Maret (1)

LINK 3-Sat Maret (2)


Sylvia Stöbe, Kassel den 9.6.2017


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Sprechende Büsche
Gestern in der Karlsaue: Eine Familie - Vater, Mutter, Kind. Ein Geräusch. „Was ist das?“ fragt das Kind. Der Vater sucht nach der Quelle des Geräuschs und sagt: „Es wird ein Frosch sein… so nah am Küchengraben“. Die Mutter bleibt vorsichtig in einiger Entfernung stehen und wartet, was ihr Mann erkundet. Doch hinter der Betonmauer ist kein Frosch. Jetzt merkt er, dass das Geräusch aus einem Haufen Zweigen kommt, die auf der Erde zusammengelegt wurden. „Mud…“ tönt es. „Oh, die Zweige sprechen…. muss wohl Kunst sein.“

Soundinstallation von Benjamin Patterson (1934 Pittsburg -2016 Wiesbaden), Fluxus- Künstler

Nachsatz:
Draußen in meinem Garten, unter der Hecke neben dem Wintergarten, hustet es seit Kurzem manchmal. Man sagte mir jedoch, das sei kein Kunstwerk der documenta 14, sondern ein Igel.
Sylvia Stöbe, Kassel den 21.8.17


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Barbara Schirmer // Karl-Kaltwasser-Straße 22 // 34121 Kassel, 19.08.2017

Der Obelisk auf dem Kasseler Königsplatz,
eine kurze Geschichte zur Wirksamkeit von Kunstwerken


Als ich zum ersten Mal vor dem Obelisken auf dem Königsplatz stand, liefen mir plötzlich Tränen übers Gesicht: Tränen der Dankbarkeit und der Rührung. Ich war ein Flüchtling, gerade mal 2 ½ Jahr alt, ich wurde in dieser Stadt 1946 aufgenommen, ich fand hier eine Heimat.
Dafür bin ich heute umso dankbarer als ich inzwischen weiß, wie stark zerstört die Stadt damals war und welche Schrecken und Verluste die Bevölkerung erlebt und erlitten hatte. Meine erste Erinnerung aus dieser Zeit war der Blick in die Königsstraße, vom Landesmuseum aus in Richtung Königsplatz, die Erinnerung an die zerstörten Häuser, die zumeist nur noch aus Gerippen bestanden. Mein Schrecken darüber war so groß, dass mir diese Erinnerung bis heute deutlich geblieben ist.
Ich halte den Königsplatz eindeutig für den richtigen Standort für dieses Denkmal. Durch die asymmetrische Aufstellung wird meines Erachtens die besondere Aufmerksamkeit des Betrachters gezielt verstärkt.

Ein Nachsatz:
Den Mitgliedern der AfD empfehle ich, sich in ihren Familiengeschichten über Flucht und Vertreibung und die Aufnahme in der Fremde kundig zu machen. Sie werden erstaunt sein.

Barbara Schirmer // Karl-Kaltwasser-Straße 22 // 34121 Kassel, 19.08.2017


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Das neue documenta-Institut
Aus der Bedarfsplanung -in dem Bereich haben wir lange gearbeitet- kennen wir es eigentlich nur so, dass es einen Bedarf gibt; die Nutzer formulieren diesen Bedarf, d.h. dass sie sagen, welche Räume sie brauchen, welche Nutzung dieses Räume haben sollen und welche Ausstattung diese haben müssen. Dann gibt es meist schon einen Standort oder ein Gebäude, in dem der Bedarf realisiert werden soll; oder mehrere Grundstücke stehen zu Auswahl und müssen auf Eignung überprüft werden; dazu werden vom Nutzer / Bauherrn Eignungskriterien entwickelt. In diesem Fall scheint die Lage anders zu sein: Es gibt eine Idee für ein Gebäude, doch die Nutzung und die Standortkriterien sind kaum ausformuliert. Um die Transparenz der Planung herzustellen haben wir an Hand einer Magistratsvorlage von OB Hilgen vom 24.4.17 das Programm extrahiert.

LINK Programm documentainstitut



Wir haben an den Oberbürgermeister der Stadt Kassel geschrieben und ihn gebeten, diese Entscheidung nochmals zu überdenken.
Kassel den 1.7.2017

LINK zum Brief an den OB

Hier seine Antwort:
LINK zum Brief von OB Geselle

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Vortrag und Diskussion im KAZ am 6.7.17

Stadtbaurat Nolda: Die Einzelheiten seines Vortrages stehen im Programm (LINK weiter oben). Er entschuldigte sich, dass dies alles so undemokratisch gelaufen sei ("demokratie-schädlich"), aber es gäbe Zeitdruck. Das Projekt sei schon lange diskutiert worden. Bisher waren die Mehrheitsverhältnisse in Kassel schwierig, politisch sei dies jetzt die letzte Möglichkeit (OB Hilgen geht, im September sind Wahlen). Durch die Finanzierungszusage des Bundes müsse jetzt alles ganz schnell gehen. 2018 Wettbewerb, 2019 Baubeginn, 2021 fertig.
Bei der Diskussion ging es vor allem um das Konzept. Es gab große Kritik: So könne das Institut auf keinen Fall Erfolg haben, nie ein Leibnizinstitut werden; der Bezug zur Kunst fehle, zur Kunsthochschule. Man könne kein Gebäude bauen, ohne ein schlüssiges Konzept zu haben.
Fazit war: Man solle die Zeit jetzt nutzen, ein Konzept auszuarbeiten. Faktisch ist OB Hilgen bis 27.7. im Amt, aber derzeit im Urlaub. Am 28.8. gäbe es dann eine/n neue/n Kulturdezerenten/in, der/ die das machen müsse. Die Stadt ist Bauherr und muss sich kümmern.
Falsche Reihenfolge: Erst Gebäude, dann das Nutzungsprogramm.

Kassel den 6.7.17








[Texte zur documenta (13)]

Documenta (13) ohne Architekten?
zum Beitrag im Architektenblatt 09/2012 (Hessen)


Kaum eine documenta hat sich so sehr mit Architektur beschäftigt, wie diese. Kaum ein Kurator hat sich so intensiv mit der Geschichte der Stadt Kassel und ihrer Architektur beschäftigt und mit der aktuellen Ausstellung auf sie Bezug genommen. Noch nie waren so viele Gebäude der Stadt in die documenta miteinbezogen. Orte wie z.B. das Kaskade-Kino, das seit dem Jahr 2000 leer stand (erbaut von Paul Bode 1952), der Ballsaal des alten Hotel Hessenland (ebenfalls von Paul Bode) und das alte Hugenottenhaus, wurden zu Schauplätzen der Kunst, waren sowohl der Rahmen als auch Thema der documenta (13). Selbst das Fridericianum konnte durch die Leere und den frischen Wind als altbekannte Hülle der Kunst neu betrachtet werden. Gebäude aber auch Landschaftsräume, wie die Karlsaue wurden zu unerwartet neuen Orten der Kunst, wie z.B. das alte Schwanenhaus, das nach langem Leerstand zu neuer Aufmerksamkeit kam. Vergessene Räume, vergessene Orte der Stadt wurden zurück ins allgemeine Blickfeld gerückt und erhielten eine neue Chance der Wertschätzung. Wir vermissen sie nicht, die großen (Star)Architekten, weil sie sich bisher nur selten mit der Stadt Kassel und ihren urbanen Räumen beschäftigt haben.

Sylvia Stöbe, Kassel den 5.9.2012


Erste Impressionen zur documenta (13)

Frischer Wind – die große Leere

Ein frischer Wind geht durch die Räume des Fridericianums. Die Räume sind leer. Leerer als je zuvor. Die hellen Fenster stehen offen und die Türen auch. Der frische Wind wird zum Sturm, der alle Kunst herausgeweht hat. Das Museum ist kein Museum mehr, denn ein Museum ist geschlossen, klimatisiert und ohne natürliches Licht.

„Ryan Gander heißt der Windmacher, ein britischer Künstler, der im Hinterhof des Museums große Gebläse installieren ließ. Er träumt von einer Kunst, die nicht zu sehen, nicht zu greifen ist und die doch machtvoll an ihm saugt. Die ihn erfasst und behutsam mit sich trägt.“ (Hanno Rauterberg, die ZEIT 6.6.2012)

Sylvia Stöbe, Kassel den 7.6.2012

Weitere Impressionen zur documenta (13)

Räume sind Menschen – Kino Kaskade

Das Kaskade-Kino ist noch verschlossen. Eine Treppe führt in die erste Etage; von dort könnte man jetzt auf die Empore des Kinos, doch auch hier ist die Tür verschlossen. Kinositze mit Blick auf den Königsplatz. 12:00 Uhr – wir dürfen eintreten. Der Boden, mit Teppich beklebt, ist uneben; eine Beule zieht sich am rechten Rand entlang der Wand. Auch beim Sitzen merkt man es: der Boden ist schief. Der Vorhang geht auf, eine kleine Bühne biete Raum für eine Performance, wo einstmals die Wasserspiele stattfanden. Das Kino wird zum Theater; es ist funktionsfähig, es möchte uns zeigen, dass es noch etwas leisten kann, es möchte noch zu etwas nütze sein. Der Eingang über das ehemalige Cafe, zwei Notausgänge, einen über die Bühne, oben die Toiletten, draußen auf dem Hof: Wohnwagen als Künstlerkabinen. Räume wie Menschen: Hintereinander kommen 11 Menschen auf die Bühne, sie stehen eine Minute ohne etwas zu sagen einfach nur da. Dann, beim nächsten Durchlauf, sagen dieselben 11 Menschen ihren Namen, ihr Alter und was sie von Beruf sind. Alle sagen, sie seien Schauspieler. Sie sprechen Schweizer Dialekt. Alle haben ein Handicap, das sie im nächsten Durchgang nennen: Lernschwäche, Down-Syndrom, Mongolismus. Der Künstler, der dies initiiert hat, heißt Jérome Bel. Er ist nicht anwesend, ein Übersetzer gibt die Kommandos. Sieben von den Schauspielern führen einen Tanz auf, zu einer selbst gewählten Musik, mit einer eigenen Choreographie. Wir sehen einen Tanz mit einem Tuch (Schleiertanz), einen wilden Derwischtanz, einen Tanz á la Michael Jackson „They dont care about us“. Es sind behinderte Menschen, die gesehen, die gehört werden wollen; manche scheinen fast verzweifelt, andere eher lustig. Wie sie das Ganze selbst gefunden hätten, werden sie gefragt. Fühlten sie sich wie in einem Zirkus vorgeführt oder hat es ihnen einfach Spaß gemacht? Menschen wie Räume, eher nutzlos, und doch wollen sie mit uns etwas machen, etwas nütze sein. Ich frage das Kino: Was willst Du sein? Und das Kino antwortet: „Ich möchte in Kino sein, ein Theaterraum, ein Vortragssaal aber keine Buchhandlung und kein Klamotten- oder Schuhladen“. Aber: „They dont care about us“.

Jérôme Bel Choreograph. Er lebt in Paris und arbeitet weltweit. Für die RuhrTriennale konzipierte er das Disabled Theater. Jérôme Bel arbeitet hier mit geistig behinderten Schauspielerinnen und Schauspielern des Theater HORA aus Zürich. Das Theater HORA, 1993 in Zürich gegründet, fördert die künstlerische Entwicklung von Menschen mit einer geistigen Behinderung. Die Mitglieder des Ensembles sind zwischen 18 und 51 Jahre alt. Einige von ihnen arbeiten bereits seit vielen Jahren als Schauspielerinnen und Schauspieler.
http://www.ruhrtriennale.de/de/programm/produktionen/disabled-theater/



Sylvia Stöbe, Kassel den 7.6.2012

Impressionen zur documenta (13)

Raum-erfahrung mit allen Sinnen

Was machte die Malerei als der Fotoapparat erfunden wurde? Was macht die Kunst, wenn alle Bilder demnächst im Internet verfügbar sind? Sie verbündet sich mit dem Raum, dem Licht und der Musik.

Eine Glaswand hindert am Eintritt. Man hört Musik, im 1.OG wird live gespielt. Die ausgestellten Objekte sind für mich eher zweitrangig. Es ist der Raum, der auf mich wirkt. Kleine Räume, beschallt mit wunderbarer Musik; große Räume, dunkle Räume, helle Räume. Köpfe aus Holz, auf Stahlregalen, die den Raum verstellen, Köpfe verletzt wie durch Granatsplitter. Eine Videoinstallation: Links das Fridericianum vor der Ausstellung; rechts ein zerstörtes Gebäude. Schutt, Steine, alles kaputt. So sah Kassel nach 1943 auch aus.

Eingang durch das Tor geht man erst in den lauschigen Hof, von dort durch einen dunklen Gang, alles ist dunkel, man sieht gar nichts, hört nur Töne. Rechts hinein und dann die Treppen empor: Ein altes Haus im Stadium der Renovierung, alte Badezimmer, völlig verdreckt von Bauschutt, eine kleine Werkstatt für Holz, eine Küche, mehrere Schlafzimmer, überall darf man hineinblicken. Wer ist hier Besucher? Wer lebt hier? Da liegt einer und grüßt, als ob man hier zu Besuch wäre. Verwirrung, gewollte Verwirrung. Projektionen: jemand singt, jemand musiziert.

Rotierende Glaszylinder, gekreuzt mit Projektionen und Tönen.

Ein künstlicher Höhlengang führt uns einen provisorischen Kinosaal. Kleine Räume mit Büchern und / oder kleinen Vasen. Eine Halle mit einer künstlichen Schneidereifabrik. Projektionen: Zwei Frauen zerlegen ein Zimmer. Rockmusik. Am Ende ein Cafe, ein wunderbarer Ausblick auf zugewachsene Gleise und kaputte, halb zerfallene Gebäude.


„Die dOCUMENTA (13) vollzieht (…) eine räumliche oder, genauer gesagt, »standortbezogene« Wende, indem sie die Bedeutung eines physischen Ortes betont, gleichzeitig jedoch auf die Verlagerung und Schaffung anderer und partieller Perspektiven abzielt – eine Erforschung von Mikrogeschichten in wechselnden Maßstäben, die die lokale Geschichte und Wirklichkeit eines Ortes mit der Welt verbinden.“ (http://d13.documenta.de/de/#de)


Sylvia Stöbe, Kassel den 8.6.2012

Impressionen zur documenta (13)

Orte und Bauten der Documenta (13)

Immer mehr Künstler, immer mehr Besucher. Jeder Kurator muss von neuem anfangen und Orte suchen, wo er seine Kunst aufstellen kann. Dazu kommen andere Funktionen: Wo ist die Hauptkasse? Wo kann man Mäntel und Taschen abgeben? Wo den Katalog kaufen oder einen Cafe trinken? Da wurden in der Vergangenheit eine alte Brauerei in den Dienst genommen oder provisorische Riesenflachbauten auf die Karlswiese gestellt.

Anders die Kuratorin der documenta(13): Sie hat sich mit der Stadt Kassel, mit ihrer Geschichte und mit ihren Bauten beschäftigt. Ihre Mitarbeiter schwärmten aus, um alles über diese Stadt zu erfahren. Und da war die Lösung: Wir zeigen dem documenta-Publikum diese Stadt, wo doch bisher jeder Besucher vor lauter Kunstbetrachtung gar nicht dazu kam, sich die Stadt überhaupt anzuschauen. Jeder hetzte von einem Ausstellungsort zum nächsten, aber die Stadt Kassel selbst hat keiner gesehen. Um die Kunst zu finden, muss diesmal jeder documenta-Besucher die Stadt erkunden - und das ist nicht leicht und wird auch nicht leicht gemacht. Das Ganze hat System: Man soll sich verirren -- Getting lost -- Was ist Kunst? Ist das hier schon Kunst oder doch nur ein Abfallbehälter? Die Verwirrung wirkt. Die Besucher schauen sich hilflos um. Wo geht es nach hier oder nach dort? Wo finde ich die Kunst?

Orte der Kasseler Stadtgeschichte kommen in den Focus: Das alte Kino Kaskade, seit 2000 geschlossen, wird Schauplatz einer Performance. Das alte Hugenottenhaus, das seit Jahrzehnten leer steht, wird nun bespielt, ja sogar bewohnt. Das alte Ständehaus, eigentlich ein Highlight der Stadtgeschichte, aber wer kam bisher hier schon rein? Frisch renoviert, wird es nun zum edlen Treffpunkt des Diskurses. Der alte Hauptbahnhof, längst abgehängt vom Warenverkehr, nur noch Lagerplatz für einige Händler, früher zentraler Ort der Verschickung, wird zum poetischen Raum; verwachsene Gleise, halb verfallene Gebäude, verträumte Industrieromantik pur. Und es erstaunt, mit wie wenig man einen Ort zum Anstoß einer Kunsterfahrung machen kann. Bei jeder Bank, die halb verrückt hier herumsteht, frage ich mich, ob auch dies ein Kunstobjekt sein könnte. Erstaunliche Töne hallen über die alten Bahngleise. Übt da jemand in einem dieser leer stehenden Gebäude? Nein, es ist Kunst.


Sylvia Stöbe, Kassel den 9.6.2012

Multispezies-TOUR
mit dem Hund auf der documenta (13)



Den ganzen Tag schüttete es wie aus Kübeln und der Hund wollte schon am morgen nicht raus „Gassi gehen“. Was tun? Leider war laut telefonischer Auskunft das bereits gebuchte und bezahlte Ticket zur Multispeziestour nicht rückgängig zu machen. Also hofften wir, dass es um 17:00 Uhr nicht regnen würde und das Wetter tat uns diesen gefallen.

Die Luft war herrlich frisch und eine freundliche Companion-Gruppe empfing uns an der Orangerie. Bald waren 7 Hunde und 15 Menschen beisammen, die sich dann um 17:00 Uhr auf den Weg durch die Aue machten. Vom „Do-Nothing-Garden“ bis zum „Hundetrainingsplatz“ war es ein langer Weg und die 2 Stunden Dauer, die veranschlagt waren, reichten längst nicht aus. Am Ende waren wir 3 Stunden unterwegs. An einzelnen Kunstwerken hielten wir an, berichteten von unseren Eindrücke und die Companions erklärten, was sie über den Hintergrund der Kunstwerke bzw. die Künstler selbst wussten. Am Schwanenhaus erzählte uns der Künstler selbst (Tue Greenfort), welche Aufgabe hier zu lösen war; das war hoch interessant und zum Anschauen wunderschön. Interessant war u.a. sein Projekt über die Hunde in Neapel, die er beim Aufspüren der Essenreste im Müll mit der Kamera beobachtet hatte. Das und noch viel mehr war im alten Schwanenhaus untergebracht; einst in den 50er Jahren speziell für schwarze Schwäne gebaut, ist es schon seit langer Zeit nicht mehr in Benutzung.

Hunde sahen wir noch mehrfach innerhalb anderer Kunstwerke und manchmal fragten wir uns, welche Art von Kunstwerken unseren Hunde gefallen würden. Vielleicht etwas mehr zum riechen, hören oder/und suchen? Auf jeden Fall sollte es etwas zu essen geben und es sollten andere Hunde dabei sein. Thema der Tour war aber auch ganz allgemein das Verhältnis Mensch – Umwelt, oder Mensch – Tier.

Zum Glück hatten uns unsere Companions schon am Beginn der Tour darauf aufmerksam gemacht, dass es in der Aue keine Toiletten gibt. Später wurde wir auf die Kunsthochschule und die angrenzenden Restaurants am Auedamm verwiesen. Diese Punkte hätte unsere Tour aber nicht berührt. Für die Hunde gab es keine Kot-Tüten, auch nicht auf dem Hundeplatz am Ende der Tour, denn da war die Box gerade leer (wie meist überall in der Stadt).

Trotzdem war es eine schöne Tour, wenn auch etwas teuer. 16.- Euro für die Führung inkl. Hund und dann noch zwei Abendkarten a 10.- Euro für die Begleiter. Das macht zusammen 36.- Euro für einen geführten Spaziergang durch die Aue. Aber es lohnt sich!

(Achtung: In die Ausstellungsräume darf der Hund nicht rein!)

Sylvia Stöbe, Kassel den 20.6.2012


Kassel zur documenta-Zeit
Mal wieder Kassel-Bashing...

Bald ist es wieder soweit, die documenta(13) wird am 9.Juni 2012 eröffnet. Wir sind gespannt, was es diesmal wieder zu sehen und zu bestaunen gibt. Jeder neue Kurator und jede neue Kuratorin hat ja den eigenen unfehlbaren Blick, was mehr oder weniger interessant bzw. oder erfolgreich sein wird.

Die documenta(13) beteuerte bereits zu einem frühen Zeitpunkt, sich (diesmal konkret) mit der Stadt Kassel und ihrer Geschichte beschäftigen zu wollen, besonders mit der nach dem 2.Weltkrieg. „Zusammenbruch und Wiederaufbau“ war das Thema, dies galt besonders dem Wiederaufbau nach den Zerstörungen des 2.Weltkrieges. Die Mitarbeiter der Vorbereitungsgruppe der documenta kamen durch ihre Forschungen über die Architektur der 50er Jahre in Kassel zwangsläufig auf den Architekten Paul Bode und seine Kasseler Bauten: Das Hotel Hessenland, das Hotel Reiss und das Kaskade waren als Standorte für Ausstellungen und andere Aktionen im Gespräch. Etwas konkreter erschien dann eine mögliche Nutzung des alten Kaskadekinos. Dies gab den Verfechtern für den Erhalt dieses berühmten und schönen Kinos Auftrieb. Dann noch das Gloria-Kino, obgleich dieses Kino nicht von Paul Bode, sondern von Ernst Flemming (Bad Hersfeld) erbaut wurde.

Interessant war im Übrigen zu beobachten, wie sich einige Journalist/inn/en nun anlässlich documenta(13) an dem Thema „50er-Jahre-Architektur“ abarbeiteten. Sie wollten etwas Positives berichten, über Kassel und auch über die 50er-Jahre-Architektur, die sonst so Ungeliebte. Würde man die Kasseler heute danach fragen, führte dies sicherlich zu folgender Einschätzung: Zwar lieben die Kasseler ihre Stadt, aber selten wegen der Architektur der 50er Jahre, vielmehr wegen ihrer Wohn- und Lebensqualität, welche sich etwa darin äußert, dass man auf kurzem Wege im Grünen ist, dort wunderschöne Parks zur Erholung findet und in einer bezahlbaren Wohnung wohnt.

Kürzlich kam es aber erneut zum Print-Medien-Kassel-Bashing: Wieder einmal ging es um die alte Frage, warum die documenta (noch) in Kassel angesiedelt sei.* Wie man ja weiß, kann man die Kasseler bereits durch die einfache Behauptung erschrecken, man werde ihnen die documenta wegnehmen. Doch scheinen solche Spiele heute etwas veraltet zu sein. Auch die Polemik der «Budenhauptstadt» greift nicht mehr, die ehemaligen „Buden“ der Nachkriegszeit sind fast alle verschwunden. Die so gern als gesichtslos gescholtene Stadt wird sich mit der Zeit der Qualität ihrer 50er-Jahre-Architektur bewusst, aber nicht nur dies: So hat Kassel kürzlich im neuen Städte-Ranking 2011 überrascht, obwohl sie bisher immer auf den hinteren Plätzen abgestellt wurde.** Kassel hat sich in den letzten Jahren sehr verändert und wird daher zu Recht "die dynamische Stadt in der Mitte Deutschlands" genannt.

Solange aber die jungen Print-Medien-Schreiber/innen nur alte Vorurteile aufkochen, kann Kassel sein Image nur schwer verbessern. Unser Vorschlag: Sich selbst ein Urteil bilden, hinfahren und sich die Stadt einfach mal vorurteilsfrei anschauen - vielleicht zur documenta-Zeit.
Sylvia Stöbe, 14.5.2012

*Christian Saehrendt am 28.4.2012 in der NZZ
**HNA 10.12.11


[Texte zum Kino Kaskade]

  Leserbrief zum Kino Kaskade 14.6.2012

Linda Fund: Das Kaskade-Kino sieht aus wie ein schwarzes Loch. Sollen denn die Besucher der Documenta (13) keinen schönen Eindruck von diesem Kino bekommen? (Text des Leserbriefes hier als jpg-Datei)

 

  Was kann das Kino Kaskade noch retten?

Kaskaden Abgesang

  Am 11.5.2012 erreicht mich der Brief einer aufgebrachten Bürgerin der Stadt Kassel. Ihr Leserbrief, den sie für die HNA geschrieben hatte, war nicht gedruckt worden, sie wollte mich aber den Inhalt wissen lassen. Es ging um das Kino Kaskade, und zwar auf fünf Seiten! Ihre Erinnerungen an die Zeit, in der im Hotel Reiss noch Filmbälle stattfanden, gehören zu den schönsten Zeilen dieses Briefes:

„Was wurden dort für tolle Feste gefeiert, was für wunderschöne `Filmbälle´“! (Aber) Warum war (…) das Premierenkino Kaskade nicht erwähnenswert? Ohne die Kaskade hätte es nie einen Filmball gegeben. Die Filmgrößen kamen hierher nach Kassel, um in der einmaligen Kaskade die Premiere ihrer Filme mitzuerleben. Kein anderes Kino in Deutschland konnte der Kaskade das Wasser reichen. Nicht nur wegen der Wasserorgel. Dieser Saal ist ein Kunstwerk für sich. Man war in einer anderen Welt, wenn man diesen Raum betrat. Vor dem Kino verrenkten wir uns die Hälse, um einen Blick auf die Schauspieler zu erhaschen.“
„Was jetzt passiert ist ungeheuerlich. Aus der Kaskade wird eine ´Kastrate´ gemacht, umgebaut, verstümmelt, ausgesaugt, verkommen zu einem Einkaufsladen! Das ist gelinde gesagt eine Kulturschande, nein eine Kulturbarbarei - und mit dem Volksmund zu sprechen eine ´Riesenschweinerei´. Der Architekt Paul Bode hat es nicht verdient, dass sein einzigartiges Bauwerk in Kassel – diese Harmonie, dieser Traum in Rot und Gold derartig misshandelt wird.“

Da konnte man dieser Frau nur Recht geben, doch wie sie sind wir alle machtlos und können dies alles nicht verhindern. Im Jahr 2000 war das Kino geschlossen worden, das Haus wurde samt Kino an eine Immobilien-Verwertungsgesellschaft verkauft. Der Eingang wurde als Laden umgebaut und das dahinter liegende Kino dem Vergessen preisgegeben. Damals sprach man noch davon, dass der Raum unter Denkmalschutz stände und erhalten werden müsse. Doch was ist ein Kino ohne Eingang, was ist ein Raum ohne Zugang?

„Gehört der Eingang zum Haus nicht auch dazu, wenn das Haus denkmalgeschützt ist?“ fragt sich unsere Briefschreiberin und sie hat natürlich Recht. Warum wurde nur der Kinoraum unter Denkmalschutz gestellt und nicht der dazugehörende Eingang? Man kann es nicht verstehen. „Die Genehmigung dieses Bauantrages war der erste Akt im Trauerspiel ´Untergang der Kaskade´. Der Treppenaufgang im hinteren Teil des Ladens wurde einfach durch eine Mauer versperrt. Die Öffentlichkeit erfuhr davon nichts. Eingemauert war die ´Kaskade´ zu einem unfreiwilligen Dornröschenschlaf verdammt. In meinen Augen war es ein Verbrechen gegen jede Kunst und Kultur, diesen einmaligen Saal von öffentlichen Leben abzuschneiden. Auch ohne Kinobetrieb wäre die Kaskade ein würdevoller Rahmen für Festveranstaltungen jeder Art gewesen.“

Die Autorin erinnerte auch noch einmal an die mehrere Tage andauernden Säuberungsarbeiten im Kinosaal durch Werner Baus und 30 (!) andere Helfer. Hätte man gewusst, was man jetzt weiß, hätte man sich die Mühe sparen können. Denn als nebenan am Königsplatz ein neues Modehaus gebaut wurde, wurde nicht nur das alte Henschelhaus abgerissen, sondern auch das Kino Kaskade in Mitleidenschaft gezogen.

„Bei den Erdarbeiten für den Neubau wurde das Nachbarhaus Königsplatz 53 und hier besonders der Kinobau `Kaskade´ schwer beschädigt. Eine ganze Wand sackte ab, zu dem Grundwasser aus dem schwammigen Untergrund gesellte sich Wasser aus dem zerstörten Röhrensystem der Wasserorgel, von oben weichte Regenwasser die beschädigte Wand
Jeder vernünftige Mensch fragt in einem solchen Fall nach der Verantwortung, nach Wiedergutmachung, nach Instandsetzung, nach einer Versicherung, die in solchen Fällen einspringt. Aber: „Keine Silbe ist davon in unseren Medien zu lesen!“ Stattdessen hören wir, dass es schon eine Umbaugenehmigung gibt. Und wenn wir uns viele neue Nutzungen vorstellen können, die es Wert wären, in diesem schönen Raum stattzufinden, es soll zu unserem Entsetzen ein Buchladen oder etwas Ähnliches daraus werden. Und wieder bleibt die Öffentlichkeit im Dunklen, wie es zu dieser Genehmigung kommen konnte und was eigentlich nun genau beschlossen worden ist. Kurz dauerte die Hoffnung, der Raum könnte noch einmal in all seiner Schönheit zur documenta der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Es gab sogar einen Kinobetreiber, der hier ein Nostalgiekino eröffnen wollte. Aber auch diese Träume sind nun ausgeträumt. Selbst die documenta schaffte es nicht, die Immobiliengesellschaft zu einer Zwischennutzung zu bewegen. Wir können jetzt nur noch zusehen, wie das Kino zerstört wird. Und so bleibt unserer Briefschreiberin nur noch zu hoffen, dass wenigstens ein paar Einrichtungsgegenstände in das Kinomuseum kommen. Ein geringer Trost.
Sylvia Stöbe, Kassel den 12.5.2012

vergl. auch unsere Publikation über Paul Bode, Heft 7, Neuauflage 2012

Siehe LINK: PUBLIKATIONEN


Kino Kaskade 2010

LINK: Filmausschnitt 1985

Denkmalschutz wozu und für wen?

Das bauliche Erbe der 50er Jahre

[ Kassel & das Erbe der 50er Jahre ]

Paul Bode

[Kassel und Bergpark]

Schlosshotel Kassel

 
Eingang Schlosshotel





zum Grimm-Museum am Weinberg

Leserbrief

Vorschlag





[feedback:]

 

architektursalon@architektursalon-kassel.de

 


[Fotomontage Treppenstrasse]



Zu Bauten der 50er Jahre (pdf):       12.11.2005


Seilbahnprojekt (pdf) :       20.02.2005


Abriss am Altmarkt (pdf):       17.02.2005


Kunst und Politik :       15.10.2004


Kassel der 50er Jahre:       15.09.2003
08.08.2004


Kulturachsen für Kassel:       04.08.2003


Blick auf das Jahr 2103:       12.07.2003


   

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