Walter Benjamin über den Zusammenhang von Kunst und Politik
Nachtrag zur Diskussion im Architektursalon-Kassel am 15.10.04
Sylvia Stöbe
In der Diskussion, die sich an den Vortrag von Gert Kähler über
Baukultur am 15.10.04 anschloss, wurde von einem Diskussionsteilnehmer die
heutige Zerrissenheit der Gesellschaft beklagt und der Wunsch bzw. die Hoffnung
geäußert, Kunst, insbesondere Architektur möge die auseinander
gefallenen Teile der Gesellschaft wieder zusammenfügen, demzufolge fehle
in der derzeitigen Diskussion um die Baukultur die politische Dimension.
Dies wurde auch mit Bezug auf Walter Benjamin geäußert.
Die entsprechende Textstelle bei Walter Benjamin findet sich in einem Text
aus den Jahren 1935 bis 1939 mit dem Titel „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner
technischen Reproduzierbarkeit“ (Benjamin, 1977). In diesem Text stellt Walter
Benjamin fest, dass durch die neuen technischen Möglichkeiten der massenhaften
Reproduzierbarkeit von Kunstwerken die Aura, also das Besondere und Einmalige
eines Kunstwerks verloren gehe. Dieser Verlust des Einmaligen ist für
Benjamin trotz eines Bedauerns jedoch akzeptierbar. Der Grund hierfür
liegt in seiner Furcht vor der Indienstnahme der Kunst durch den Faschismus.
Er erläutert, dass Kunstwerke früher immer im Dienste des religiösen
Rituals gestanden haben und demzufolge Kontemplation, d.h. geistige Versenkung
einforderten. Durch die neuen Medien der Kunst, insbesondere durch den Film
verstärkt sich jedoch seiner Meinung nach die Distanz des Einzelnen
zum Kunstwerk und der Kultwert der Kunst wird zurückgedrängt. Auch
versuchten die Dadaisten die kontemplative Rezeption von Kunst zu stören
und die Aura des Kunstwerks zu vernichten.
Dennoch blieb - trotz der gewünschten und auch versuchten Abkehr der
modernen Kunst von der religiösen Kontemplation - die ehemalige religiöse
Funktion am Kunstwerk haften. In der Folge war es möglich, dass die
Kunst, insbesondere die Architektur und der Städtebau in den Dienst
der Politik gestellt werden konnte, genauer gesagt, in den Dienst des Faschismus.
Zum Zusammenhang zwischen Kunst und Politik sagt Walter Benjamin: „Der Faschismus
läuft auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus“ (Benjamin
1977, 169). Die kultische Herkunft der Kunst wird hier zur Beeinflussung
der Massen dienstbar gemacht. Und während der Faschismus eine Ästhetisierung
der Politik betrieb, antwortete der Kommunismus mit einer Politisierung der
Kunst.
Auf der einen Seite weist Walter Benjamin in diesem Text darauf hin, dass
trotz aller Versachlichungsversuche der Moderne die kultische Funktion der
Kunst nicht gänzlich verschwunden sei und die Indienstnahme der Kunst
zu einem verdeckten Einfluss führen könne. Auf der anderen Seite
stellt er klar, dass die Politisierung der Kunst durch den Kommunismus nicht
das positive Gegenbeispiel sein kann, sondern nur die andere, ebenso problematische
Seite der Medaille.
Für Walter Benjamin lag 1939 die Lösung dieser Frage in der Akzeptanz
der trocknen, kalten und barbarischen Sachlichkeit, um „die Kultur, wenn
es sein muss, zu überleben“ (Benjamin 1977, 296). Er plädierte
damals also keineswegs für eine Verbindung von Kunst und Politik.
Literatur:
Walter Benjamin: Illuminationen. Ausgewählte Schriften 1, Suhrkamp Taschenbuch
345, Frankfurt 1977
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