Kulturachsen für Kassel?
Michael Krauss
04.08.2003






Eine Gruppe von Kasseler Stadtplanern hat vorgeschlagen, zur Stärkung der kulturellen Identität der Stadt – auch im Hinblick auf die Bewerbung Kassels als Kulturhauptstadt – in der Innenstadt sogenannte Kulturachsen zu schaffen. So unterstützenswert der Vorschlag ist, soweit er generell einen Hinweis auf den notwendigen Ausbau der kulturellen Infrastruktur gibt, so problematisch erscheint seine konkrete Form. M.E. löst der Begriff Kulturachse mehr Fragen aus als er selber beantworten kann, wobei auffällt, dass es sich um einen zunehmend gern genutzten Slogan handelt. Dennoch: Was hat man sich überhaupt unter einer „Kulturachse“ vorzustellen? Kassel kennt Achsen bisher vor allem in der Gestalt von Sicht- oder Blickachsen, die bekannteste ist die Wilhelmshöher Allee. Aber was sind „Kulturachsen“? Der Ausdruck verbindet zwei im Grunde nicht kompatible Sphären: Während der Begriffsteil Achse mathematisch-physikalischer Herkunft ist (z.B. Symmetrieachse, Koordinatenachse), in der Architektur die Mittellinie von Gebäuden und Räumen bezeichnet sowie in der Stadt-, Garten- und Landschaftsgestaltung Sichtbeziehungen und Raumbezüge herstellt, sind mit dem andern Element des Ausdrucks, mit der Kultur offensichtlich  Kulturstandorte gemeint, die "vernetzt" und entlang einer Achse aufgereiht werden sollen. Daraus ergibt sich ein Widerspruch: Achsen sind in aller Regel auf einen Ziel- oder Fluchtpunkt ausgerichtet; barocke und klassizistische Anlagen beispielsweise orientieren sich auf die Bekrönung oder den Endpunkt einer Achse. Dagegen sind Kulturstandorte, wie Museen, Galerien, Theater, Konzerthäuser u.dergl., besondere Orte in der Stadt, die zwar manchmal auch durch eine Sichtachse besonders herausgehoben werden können (Bsp.: Opera Garnier in Paris); sie stellen aber selber Adresse und Ziel dar und bedürfen insoweit keiner Achsenorientierung. Es ist zu vermuten, dass die Wortschöpfung dem Wunsch geschuldet ist, eine Bündelung oder räumliche Konzentration von kulturellen Angeboten in der Innenstadt dadurch zu erreichen, dass diese durch eine vorgestellte Sicht- und Gehlinie planerisch verbunden werden, in der Annahme, dass damit ein spürbares Gegengewicht zur Dominanz der Geschäftsstrassen in der City geschaffen werden kann. Es kann nicht Gegenstand dieser Betrachtung sein, die Eignung der einzelnen vorgeschlagenen Standorte für die jeweiligen Nutzungen zu erörtern. Es fragt sich aber, ob – um im Bild der „Kulturachse“ zu bleiben – mit einer gedachten Linie, die in inhaltlicher Hinsicht mehr oder weniger zufällige Verknüpfungen vornimmt, die gewünschte kulturelle Aktivitäts- und Attraktivitätssteigerung in der Stadt erreicht werden kann. Eine Herangehensweise, die von einer Gewichtung der Inhalte und Potenziale ausgehen würde, ähnlich der, wie sie neuerdings bei der geplanten Neuordnung der Kasseler Museumslandschaft initiiert wurde, erschiene da vielleicht erfolgversprechender. Ohnehin wirft gerade dieses Projekt weitergehende Fragen nach einer auf die Gesamtstadt bezogenen Konzeption auf.


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