Zukunftsvision 2103
Zu meinem 148.Geburtstag bekomme ich Besuch. Freunde kommen zu einem kleinen
Fest in meinen Garten. Meine Freunde sehe ich nur sehr selten. Aber wir haben häufigen Emailkontakt.
Wir sehen uns auch oft über die Hologrammübertragung. Der körperliche
Kontakt zwischen Menschen ist ohnehin in der letzten Zeit auf ein Minimum
reduziert worden, wegen der Ansteckungsgefahr. Es gibt immer wieder Seuchengefahr
in letzter Zeit.
Ich bin meistens zu Haus und verlasse es nur selten. Es gibt keinen Grund
mehr, das Haus zu verlassen. Alle notwendigen Lebensmittel werden mir nach
Haus gebracht. Was ich sonst noch brauche, kann ich auch über das Internet
bestellen. Niemand geht mehr auf die öffentlichen Straßen. Sie
sind ohnehin auf ein Mindestmaß reduziert. Es sind nur noch reine Verkehrwege.
Alle anderen Flächen wurden schon lange privatisiert. Für die Pflege
von öffentlichen Flächen hatte man kein Geld mehr.
Die Straßen sind sehr gefährlich geworden. Die Häuser an
den großen Straßen sind alle leer und verfallen. Dort wohnt niemand
mehr, weil es genug Wohnraum in besseren Bereichen gibt. Dort leben illegal
nur noch die, die ohne Wohnsitz sind. Neu gebaut wird kaum noch und wenn,
dann besteht das Haus nur aus Fertigteilen und kann auch wieder ohne Schaden
abgebaut und recycelt werden. Heute geht es mehr um technischen Ausbau und
um Sanierung.
Die Freunde kommen deshalb in einem speziell gepanzerten Solarauto. Das Solarauto
fährt ferngesteuert. Man schließt sich einem allgemeinen Leitsystem
an und wird automatisch zum Ziel geleitet. Im Auto kann man dann lesen oder
Fernsehen oder im Internet spielen.
Die fossilen Brennstoffe sind schon längere Zeit erschöpft. Der
Rest wird nur noch für besondere Anlässe, z.B. zum Betrieb von
Verbrennungsmotoren in den Museen verwendet. Dennoch haben wir derzeit keine
Energieprobleme. Die Gezeitenkraftwerke in England, Frankreich, Spanien liefern
genug Strom für Europa. Der Rest kommt über Windkraftanlagen an
der Nordsee in Deutschland und Nordfrankreich. Den Solarstrom bekommen wir
aus Italien. Nur das Wasser ist knapp. Die Zeiten, in denen wir - wenn es
besonders heiß war - zweimal am Tag geduscht haben, sind längst
vorbei. Heute wird unser Wasser hausintern mehrfach aufbereitet. Auch versuchen
wir, möglichst viel Regenwasser aufzufangen. Frischwasser kommt nur
noch wenig aus dem Netz, nur noch einmal am Tag wenige Liter. Es gibt eine
weltweit geregelte Verteilung von Energie und Wasser. Da es hier in Deutschland
jetzt deutlich heißer geworden ist, ist der Wassermangel doch sehr
lästig. Sie haben jetzt etwas erfunden, wie man ohne Wasser duschen
kann, aber ich habe es noch nicht ausprobiert.
Man arbeitet jeden Tag, wann man will und wie viel man will. Es gibt keine
Büros mehr und keine geregelte Arbeitszeit. Der Arbeitslohn wird seit
vielen Jahren nur noch über Leistung ermittelt. Es wird nicht mehr die
Zeit honoriert, die man für etwas braucht, sondern nur noch das Produkt,
die Leistung. Alle Arbeitsfähigen arbeiten bis zu ihrem Lebensende mehr oder weniger
viel, so viel, wie jeder eben kann. Arbeiten kann man im Prinzip auch wo
man will.
Die Jugendlichen haben einmal im Jahr ein soziales Jahr. In diesem Jahr müssen
Mädchen und Jungen sozial wichtige Arbeit leisten, die nicht bezahlt
wird. Universitäten gibt es leider nicht mehr. Früher arbeitete
manchmal für ein privates Institute nur für Kinder reicher Eltern.
Ein paar große Firmen haben auch spezielle Lehranstalten gegründet,
die den alten Unis ähnlich sind. Aber da ist die Lehre sehr zielgerichtet,
auf das Interesse des Unternehmens abgestimmt.
Die Sprache, die wir jetzt in Europa sprechen, ist ein Mix aus Deutsch, Englisch
und Spanisch, je nach Region unterschiedlich stark von der Restkultur geprägt.
Auch das Essen ist ein Mischmasch aus allen europäischen Kulturen. Irgendwo
in Bayern gibt es eine kleine Gruppe, die noch unbedingt die deutsche Kultur
und die deutsche Sprache aufrechterhalten will.
Ich habe keine eigenen Kinder, ob wohl das heute durch Genmanipulation möglich
wäre. Aber ich habe vor 50 Jahren zwei Menschen aus Indien adoptiert. Das war damals
Bedingung für die Weiterzahlung meiner Rente. Vor 50
Jahren wurden wegen des fortschreitenden Bevölkerungsrückganges
in Deutschland neue Adoptionsgesetze eingeführt. Jeder, auch Alleinstehende
und ältere Menschen, können jetzt eine Adoption weltweit übernehmen.
Meine Gesundheit hängt im Wesentlichen von neuen maschinellen Ersatzteilen
ab. Das neue Herz, das sie mir neulich eingebaut haben, funktioniert noch
eine gewisse Zeit, doch gegen den Verfall der Blutgefäße haben
sie noch nichts gefunden. Wenn man krank wird, wird man in der Regel zu Haus
versorgt. Krankenhäuser sind nur noch für schwere Operationen da.
Die Pflege und Nachsorge findet zu Haus statt, mit Hilfe elektronischer Überwachung
und ambulanter Pflege. Auch die Ärzte sind mobil tätig und haben
keine privaten Praxisräume mehr. Manche haben einen Behandlungsraum
im Krankenhaus. Wenn ich mich unwohl fühle, kontaktiere ich erst einmal
die Gesundheitshomepage der Ärztekammer. Hier kann ich meine Beschwerden
eingeben, meine Blutdruckdaten kann ich selbst erfassen und er gibt auch
kleine Zusatzgeräte für die Blut- und Urinanalyse.
Die Diagnose, die der Computer mir dann gibt und die Vorschläge, die
er macht, alles das ist zwar ohne Gewähr, doch kann ich so die
Kosten für den mobilen Arzt sparen. Denn von der Krankenkasse werden
nur noch die Leistungen bezahlt, die über 1500 Euro im Monat hinausgehen,
oder wenn die eigenen Geldmittel erwiesener maßen nicht ausreichen.
Dann gibt es aber nur die Mindestleistungen und nicht die teuren Ersatzteile,
die man heute zum Überleben braucht. Die ärmeren Leute erkennt
man an den schlechten Zähnen.
Nun muss ich aber aufhören,
meine Freunde rufen nach mir.
Das Jahr 2103
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