18.03.2005



Protokoll zum 17. Gesprächsabend im Architektursalon am 18.03.2005

Simone Hain: Zur Aktualität der kritischen Rekonstruktion


Das Nachkriegsjahr 1945 hat man als „Stunde Null“ der Planung bezeichnet. Auch das Jahr der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1989 stellt einen tiefen Einschnitt dar. Wieder hat sich das Leitbild der Planung radikal verändert. Simone Hain beginnt ihren Vortrag mit dem Hinweis, dass sie auf 15 Jahre Planungsgeschichte der Nachwendezeit in Berlin zurückblicken kann, auf eine Geschichte, die von Ungleichzeitigkeiten geprägt ist. In plakativer Form lassen sich die Gegenpole dieser Zeit an zwei Extrembildern verdeutlichen: Hier das Ideal der kleinen Parzelle bei dem Projekt der „town-houses“ an der Friedrich-Werderschen Kirche, dort am Potsdamer Platz die Hochhausstadt.

Mit dem Fall der Mauer wurden alle bis dahin in Berlin entwickelten Planungen entwertet. Die großen Investoren brachten ihre eigenen Architekten mit. Im Gegenzug versuchten die in Berlin ansässigen Architekten anders an Aufträge zu kommen. Neues Bauland ergab sich nicht nur durch die Auflassung des Mauerstreifens; große Flächenpotenziale lagen jetzt als Bauerwartungsland in der Mitte der Stadt bereit. Die Flächen am Potsdamer Platz waren schon vor dem Fall der Mauer veräußert worden.

Mit dem Ergebnis des städtebaulichen Wettbewerbs für den Potsdamer Platz, in dem der Entwurf der Münchener Architekten Hillmer und Sattler ausgezeichnet wurde, war die Zielvorstellung verbunden, die neue Bebauung auf das Maß der Berliner Traufhöhe zu begrenzen. In der weiteren Durchführung konnten Hochhäuser dennoch nicht verhindert werden. Die in dem Areal realisierten Baublöcke scheinen sich an die Berliner Tradition der steinernen Stadt anzugleichen, nur sind die Straßen eben keine wirklich lebendigen Straßenräume, sondern nur unbelebte Abseiten. Der innere Platz „funktioniert“, doch nicht als urbaner Stadtplatz, sondern als Festival-Ort für die Berlinale und für das Musical-Theater oder einfach nur als Touristenattraktion. Renzo Pianos Terrakotta-Fassaden geben dem Ensemble ein leicht mediterranes Flair. Aber die bei näherem Hinsehen erkennbaren Leerstände zeigen auch, dass der Ort als Wohnstandort nicht geeignet ist.

Parallel läuft eine Nostalgiewelle: Man sammelt alte Postkarten mit Ansichten der Stadt aus den 20er Jahren oder früher. Das Bild der alten dichten Innenstadt wird wieder beschworen. Der Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien hat eine Schlossattrappe zur Schau gestellt. Die Inszenierung der Erinnerung an die wilhelminische Stadt fungiert als kollektives Rückversicherungsprogramm, das die real existierende Stadt negiert.

Die Stadtplanung der DDR für das alte Zentrum von Berlin-Mitte, die sich in der großen Achse - ausgehend vom Neubau des Außenministeriums über den Palast-der-Republik bis hin zur Stalinallee - manifestiert hatte, galt nun nach 40 Jahren nichts mehr. Für diesen Bereich gab es keinen Anspruch auf behutsame Stadterneuerung. Die weiten Flächen der Hauptstadt sollen auf die Dichte der Kaiserzeit zurückgebaut werden. Auch dem hier realisierten Konzept der Freiraum- und Grünplanung wurde grundsätzlich keine Qualität zuerkannt und die Idee, in dem Gebiet einen großen Zentralpark anzulegen, wurde abgelehnt.

Als neues amtliches Leitbild für Berlin wurde die Doktrin von der steinernen Stadt verordnet: Extrem dichte und enge Bebauung, statisches Prinzip, preußische Achsen. Die Zerstörung der alten Stadt wurde der Moderne als von ihr selbstverschuldet angelastet. Die Stadt sei erst im Wiederaufbau richtig zerstört worden und nicht eigentlich im Krieg, war nun die These: „Es stand ja fast alles noch!“ Offen bleibt, wer diese Massen von verbrannten Ruinen hätte wieder aufbauen sollen. Überhaupt sei erst durch die Moderne der Verlust des Bürgerlichen eingetreten. Wobei ebenfalls offen bleibt, ob es um den „Bourgeois“ oder um den „Citoyen“ geht.

Auch der Alexanderplatz stellt für die Verfechter des neuen Leitbildes nur einen leeren Platz dar, ein horror-vacui, das verdichtet werden muss. Man ist blind für die Qualitäten dieses Ortes mit seiner wohlbedachten Weite. Der als Ordnungskonzept ausgewählte Wettbewerbsentwurf von Kollhoff mit einer großen Zahl von Hochhäusern ist bereits zum Planungsrecht geworden, obwohl keiner der Investoren im Moment bauen will. Dafür nimmt man den entstandenen Veränderungsdruck in Kauf, der dazu geführt hat, dass der Platz und seine Gebäude inzwischen verkommen. Auch im Detail ist man konsequent: Bei der anstehenden Kaufhoferweiterung wird die Blechfassade durch eine Steinfassade ersetzt werden. Dies einmal ungeachtet der neuerdings feststellbaren Wertschätzung der 60er-Jahre-Symbolik bei Jüngeren.

Erfolgreich im Sinne des Leitbildes war man mit der Verdichtung des Gebietes an der Friedrichstraße, insbesondere an der Ecke Unter-den-Linden, auch dies ein Postkartentraum aus der guten alten Zeit. Ziel war eine hohe Verdichtung, dabei wurden auch Parkflächen aus den 60ern zerstört. Entstanden sind so Mäcklers strenger Neubau mit steinerner Fassade und die südlichen Gebäudeblöcke an der Friedrichstraße, die eine große Zahl ehemals kleiner Parzellen vereinigen; die Nutzung zieht sich über mehrere Untergeschosse zu einer Flaniermeile unter der Erde, deren Anmutung reichlich banal geraten ist. Am Gendarmenmarkt hat man das, was man als Schinkeltradition ausgibt, im Übermaß ausgebreitet. Die Kleinteiligkeit der Blöcke von Aldo Rossi an der Kochstraße ist ebenfalls nur schöner Schein.

Das Planwerk Innenstadt entstand zunächst als Untersuchung der vorhandenen Potenziale: Es galt zu klären, was noch bebaut werden konnte – wohlgemerkt zum Zeitpunkt 1995, als der Investitionsdruck noch groß war! Alle Freiflächen wurden zu Bauerwartungsland umdefiniert. Straßenverengungen sollten weitere bebaubare Flächen bringen. Vor allem wollte man für das bürgerliche Milieu Flächen für kleinere Bauvorhaben verfügbar machen: Die kleine Parzelle und der Bürger sollten die alte Stadt wieder herstellen. Nur wenige Personen haben an dieser Studie gearbeitet. Sie wurde gleich nach der Veröffentlichung heftig kritisiert, ist jetzt aber dennoch zur verbindlichen Planungsgrundlage geworden. Schon früh wurde das Ahornblatt abgerissen, da es den neuen Planungen im Weg stand. Auch am Spittelmarkt ist der Brunnen bereits beseitigt worden. Die privilegierte Bebauung an der Falkoniergasse wird kleinteilig und eng werden. Größere Bauvorhaben des New Urbanism am Tacheles sind jedoch wieder vom Tisch.

Brauchen wir einen Revisionismus, der uns in die Zeit um 1900 zurückwirft? Ist der Moderne nicht die Schönheit abzugewinnen, die wir in die Zukunft mitnehmen können?



home