17.06.2005



Protokoll zum 19. Gesprächsabend im Architektursalon am 17.06.2005

Renate Fritz Haendeler:
Politikfeld Baukultur - Ironie und tiefere Bedeutung


Mit Verspätung (immer die Technik!) beginnt der Vortragsabend. Nach der Einführung durch Sylvia Stöbe eröffnet Renate Fritz-Haendeler ihren Beitrag mit einem aktuellen Hinweis: Die derzeitige Debatte im Bundesrat (17.06.05!) über das nicht zustimmungspflichtige Gesetz zur Errichtung einer Bundesstiftung Baukultur wird, wie befürchtet werden muss, mit einem negativen Ergebnis enden. Baukultur gehöre zur Kultur und Kultur sei Ländersache, so das Plädoyer der CDU-Länder für die Aufhebung des Gesetzes; ergo könne es keine Baukulturstiftung des Bundes geben. Damit ist der Gesetzesentwurf zur Stiftung Baukultur trotz des einstimmigen Beschlusses des Bundestags erst einmal blockiert. Wenn das Stiftungsgesetz nach der Auflösung des Bundestages dem Diskontinuitätsprinzip zum Opfer fällt, ist ein neuer Bundestag nach den Wahlen  im Herbst nicht mehr an alte Gesetzesverfahren gebunden. Damit  wird eine jahrelange impulsgebende Baukulturinitiative  zunichte gemacht.

Warum auch nicht? lautet die provozierende Frage der Referentin, angeregt durch einen Artikel von Christian Kühn (Professor TU Wien) in der aktuellen Arch+. Der Verfasser greift die Populismusoption in der aktuellen Architekturdiskussion an ,die sich vom Bann des Baumeistertums zu befreien sucht. Er kritisiert die Auffassung von Architektur als Popart ohne Moral .Die Option Pop erfülle nur eine  Entlastungsfunktion für eine in Bedrängnis geratene Branche.

Wie wirkt sich dieser Zwiespalt zwischen Baumeistermoral und „erlaubt ist, was gefällt“, auf ein Politikfeld Baukultur in Brandenburg aus? Die ökonomische Situation in Brandenburg werde zunehmend schwieriger. Seiner Struktur nach sei Brandenburg nach wie vor ein Arbeiter- und Bauernstaat. Schulen werden geschlossen. Die Region ist vom Wegzug der Bewohner geprägt, es ist eine schrumpfende Gesellschaft. Die Architekten arbeiten überwiegend in kleinen Büros. Existenzsicherung bestimmt die Arbeit.

Gliederung des Vortrags:
1.    Herrscherperspektive oder Viel-Ansichtigtkeit
2.    Stadtumbaupolitik
3.    Beispiele

Die Potsdamer Kulturlandschaft ist geprägt durch den Preußischen Universalismus. Schinkel, dessen Werk im ersten Drittel des 19.Jahrhunderts entstand, plante und baute für den Blickwinkel eines Herrschergeschlechts, der Hohenzollerndynastie. Er unterschied zwischen Bauwerk und Architektur. „Ein Gebrauchsfähiges (...) schön zu machen“ ist nach seiner Auffassung die Aufgabe der Architektur. Baukulturpolitik heute bedeutet in Brandenburg „den demokratischen Wandel gestalten“. Damit stellen sich drei Problemkomplexe zur gleichen Zeit:

1.    Der Umgang mit dem kulturellen Erbe – wieviel Herkunft braucht die Zukunft?
2.    Wie viel Reglementierung braucht eine pluralistische Gesellschaft?
3.    Wie lassen sich Strukturumbrüche in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt
       im Verbund mit der demographischen Entwicklung sozial vermitteln?
       (Rückbaukulturstrategien, Wolfgang Kil)

Die Referentin ging auf die Probleme bei der Erhaltung des kulturellen Erbes in schrumpfenden Gesellschaften ein, charakterisierte die unterschiedlichen Blickwinkel von Berlin und Brandenburg bei der Novellierung ihrer Landesbauordnungen sowie die soziostrukturellen Divergenzen und Mentalitätsunterschiede zwischen der Perspektive der Bundeshauptstadt und dem strukturschwachen Flächenland.

Anhand von Beispielen erläuterte Fritz-Haendeler einige eigensinnige Rück-bau-kulturprojekte, u.a.die Ergebnisse des Brandenburgischen Architekturpreises 2005, des Wettbewerbs EUROPAN-7 in Senftenberg. Die Ministeriumsinitiative wurde vorgestellt, über Schülerwettbewerbe für die 11.-12. Klassen die Augen von jungen Leuten für Stadtumbaufragen zu öffnen (www.BauStadtUm.de  2003) und für Wahrzeichen, Zeitzeichen und Orientierungspunkten nach dem Vorbild von Kevin Lynchs „Bild der Stadt“ zu sensibilisieren (www.ansichtssache-stadt.de  2005).

Was bedeutet Rückbaukultur ? Für eine Rückbaukultur gibt es keine Erfahrungen. Wie sichert man Infrastruktur und Erreichbarkeit? Der aktuelle Umgang mit diesen Fragen geht von Quantitäten aus. Strategien für den Übergang stellen sich vor Ort als offene Frage. Albrecht Göschel (DifU Berlin) spricht von einem Umbau-Lernprozeß. Seine aktuelle Forschung zur Stadt der Zukunft 2030 beschäftigt sich mit dem Zukunftsdilemma kommunaler Politik und Planung. Wie treffsicher sind Prognosen? Zauberer und Missionare bieten Kreativität an.

Künstler gelten als Raumpioniere der Stadtentwicklung. Sie haben beispielsweise die Raumpotentiale der Schiffbauergasse in Potsdam durch Tanzwerkstatt, Ausstellungen und soziokulturelle Initiativen sichtbar und attraktiv gemacht für Gottfried Böhms Theaterneubau, die Ansiedlung von Oracle sowie des VW-Designzentrums etc. Hierzu bedarf es aufgeschlossener Bürgermeister und Wohnungswirtschaftler. Kreativität soll gefördert, Anreize zur Selbstorganisation gegeben werden.

„Stärken stärken“, so formuliert es MP Platzek. Im Moment läuft ein schwieriger Verständigungsprozess über den engeren Verflechtungsbereich um Berlin und den äußeren strukturschwachen Entwicklungsraum. Wie kann bei sinkenden Finanzen und schrumpfender Bevölkerung die Stadt als Lebensraum in ihrer Vielfalt erhalten werden? Die Siedlungsstruktur ist aus den Fugen: leere Schulen und stillgelegte Betriebe. Die Stadt wird zur Siedlung. Die Versorgungsstrukturen der Stadt haben ihre Aufgabe verloren. Im Moment konzentriert sich die Förderung auf die Innenstädte. Doch was verstehen wir darunter?

Es braucht neue kreative Konzepte. Der Europan-Wettbewerb hat sinnvolle Ideen für eine parkähnliche Zwischennutzung für jung gebliebene Alte aufgezeigt. „Mit Kunst alt werden“, „ein zweiter Frühling“? Die Sinne erproben, Geschichten erzählen, Identitäten ausloten - eine Hoffnungsbotschaft.





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