14.2.2003



Protokoll zum 4. Gesprächsabend des Architektursalon am 14.2.2003

Herbert Glasauer: "Die sichere Stadt"



Nach einer kurzen Einführung durch Sylvia Stöbe begann Herbert Glasauer seinen Vortrag zum Thema „Die sichere Stadt“ mit dem Hinweis auf die besondere Bedeutung des öffentlichen Raumes für den Themenkreis des heutigen Abends. Er stellt das Feld dar, auf dem sich das Interesse der Öffentlichkeit bewegt, wenn es um Gestaltungs- und Eingriffsmöglichkeiten geht. Es liegt somit auf der Hand, dass dieser öffentliche Raum in der politischen Diskussion im Vordergrund steht.

Vereinfacht gesagt, wird der öffentliche Raum meist in Analogie zu einem euklidischen Raummodell gesehen, quasi als Container für das soziale Leben, in dem sich die Kommunikation abspielt. Öffentlichkeit ist aber nicht mit dem öffentlichen Raum gleich zu setzen, sie stellt vielmehr einen sozialräumlichen Prozess dar (Sennett, Der Körper der Stadt; Schubert). Öffentlichkeit funktioniert nur als ein Pendant zur Privatheit (Arendt, Bahrdt).

In der Vorstellung Hans Paul Bahrdts bildet sich die Öffentlichkeit, deren Grundform in Gestalt des Marktes beschrieben werden kann, als unvollständige Integration heraus. Sie zeigt sich in repräsentativem Verhalten, in Ritualen und Imagebildung. Entscheidende Bedeutung kommt der individuellen Freiheit zu. Die Idealidee der Antike, wonach die Polis als Diskurs von Gleichen unter Gleichen vorgestellt werden kann, traf jedoch schon damals nicht zu, da die zahlenmäßig große Gruppe der Sklaven an dieser Form der Öffentlichkeit keinen Anteil hatte.

Privatheit und Öffentlichkeit sind jedoch nicht immer vollständig getrennte Sphären. Sie vermischen sich: Private Handlungen finden in öffentlichen Räumen statt. Öffentliche Information erreicht uns über die Medien im Privatbereich. Öffentlichkeit ist daher nicht gleichzusetzen mit öffentlicher Sichtbarkeit. Zwar werden im Prozeß der Zivilisation immer mehr körperliche Verrichtungen in das innere der Häuser verlegt (Norbert Elias), aber in der Folge werden auch ehemals öffentliche Bereiche privatisiert, wie z.B. Bahnhöfe und Einkaufspassagen. Diese quasi öffentlichen Bereiche sind jedoch qua Rechtsverhältnis privat und werden als solche bewacht und gepflegt. Das sichere und saubere Einkaufszentrum wird so zum Idealbild des öffentlichen Raumes. Widersprüche werden ausgegrenzt oder überdeckt. Demgegenüber wird der reale öffentliche Raum dann als noch unsicherer und unsauberer empfunden.

Während nach Bourdieu Herrschaftsverhältnisse auch weiterhin in den städtischen eingeschrieben sind,müssen wir zugleich eine Verinselung von Räumen unterschiedlicher Milieus mit unterschiedlichen Verhaltensstandards konstatieren. Der widersprüchliche Prozeß der einerseits sich ausbreitenden emotionalen Offenheit mit dem Streben nach Authentizität und andererseits der Zunahme gegenseitiger sozialer Kontrolle führt zu weiterer Verunsicherung und wechselseitiger Fremdheit. Dieses Fremdheitsgefühl hat aber mit der realen Gewalt nichts zu tun. Es sind Ängste vor einer erwarteten Gefahr. Gesellschaftlich geprägte epochale Ängste verlagern sich. Zygmunt Baumann verweist darauf, dass jede Gesellschaft ihre eigenen Ängste hat und dass diese Ängste sich im Wandel befinden. War z.B. früher Männergewalt für die Ehefrau zwangsweise zu akzeptieren, wird heute selbst die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Nicht jede heute als Straftat angezeigte Handlung war dies auch in der Vergangenheit. Manche Raufereien werden als Körperverletzung angezeigt, andere einfach hingenommen.

Die Risikobewertung erfolgt jedoch nicht nach objektiven Maßstäben. So verdrängt z.B. die Bevölkerung in Kalifornien die reale Gefahr eines Erdbebens aus dem Alltagsbewußtsein. Ähnlich verhält es sich mit dem BSE-Risiko. Die Deutung der Gefährdung ist darüber hinaus nicht statisch.

Entsprechend der These von Norbert Elias über die Entwicklung vom Fremdzwang zum Selbstzwang wird uns die zunehmende Affektkontrolle zur zweiten Natur. Die Verinnerlichung ehemals externer Normen und Regeln ist uns so nicht mehr bewusst. Gefühle von Scham- und Peinlichkeit sind Ausdruck unserer Angst, die verinnerlichten Normen nicht einhalten zu können. Allein unzivilisiertes Verhalten erzeugt in uns bereits Scham- und Peinlichkeitsgefühle und Ängste. Wir haben Angst vor unserem eigenen Versagen, vor unserer eigenen Verwahrlosung. Dieses komplexe Geflecht verinnerlichter Normen führt zu einer verstärkten Selbst– und auch Fremdbeobachtung. Während die reale äußere Angst abnimmt, nimmt die innere Angst zu. Wir werden empfindlicher. Schon eine Geste wirkt wie ein realer Angriff.

Die Stadt wurde und wird oft gleichgesetzt mit kulturellem Verfall und Kriminalität. Der Freiheit in der Stadt steht die Unsicherheit über das Fremde gegenüber. Das gesellschaftliche Bild der Stadt ist also ambivalent, wobei die negativ besetzten Gefühle zu überwiegen scheinen. Joachim Schlör hat gezeigt, wie gerade in gesellschaftlichen Umbrüchen die Ängste stärker werden.


Welche Schlußfolgerungen können wir ziehen, damit der städtische Raum wieder zum Ort städtischer Öffentlichkeit wird?

Nichts ist zu erwarten aus einer romantisierenden Rückwendung an die Ideale der alten Polis. Was eher Hoffnung verspricht, sind soziale Netzwerke, die partizipativ arbeiten und die Bewohner von Stadtteilen sowie freie Träger und Organisationen zu einem Konsens über Verhaltensstandards anregen können. Das setzt zum einen Toleranz voraus, macht aber auch in gewissem Umfang Verbote nötig. Öffentlichkeit meint nicht die Belebung städtischer Räume durch private Aktivitäten, sondern die Konstituierung einer politischen Öffentlichkeit, die sich auf den städtischen Raum bezieht.

Die Vorstellung, durch den Einsatz baulicher Mittel unmittelbar Einfluß nehmen zu können, muß man eher relativieren. Allerdings steht fest, daß Gebäude, deren Zustand den Verfall signalisiert, bei den meisten Menschen Angst auslösen. Positive Auswirkungen ergeben sich, wenn die Beteiligten selbst Einfluß auf die Gestaltung des öffentlichen Raumes nehmen können. Wichtig ist vor allem, dass die soziale Einbettung gefördert wird. Die Herstellung von Sicherheit kann nicht delegiert werden, da Delegation die Unsicherheit stärkt.


Diskussionsthemen:

Diskrepanz zwischen erwarteter Gefahr und realer Gefahr.

Risikomanagment: Interpretation von Risiko. Was irritiert uns?

Angst vor dem eigenen Ende, vor der eigenen Zukunft:
Ängste wo anders ankoppeln

Frauen im öffentlichen Raum: nicht allein gehen, sich nicht als Opfer anbieten.
Frage nach der Freiheit der Wahl. Frauen erobern die Nacht.

Rolle der Medien: Die Delikte der ganzen Welt werden Teil meiner sozialen Umwelt. Sensationsjournalismus.

Mit Fremdheit konfrontiert werden. Fremdheit gewohnt sein.
Angst vor Hilflosigkeit, Kontrollverlust

Sich einmischen – wann nicht? Ängste jenseits der realen Gefahr ernst nehmen





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