13.05.2005



Protokoll zum 18. Gesprächsabend im Architektursalon am 13.05.2005

Richard Röhrbein: Tradition und Moderne am Beispiel Potsdam


Einleitend erläutert Richard Röhrbein seine Auffassung zum Begriff Baukultur. Für ihn steht dieser Begriff im Plural: Es geht um „Baukulturen“ Auch der Begriff Tradition steht im Plural. In der Geschichte erkennen wir immer verschiedene Kulturen und verschiedene Meinungen darüber, was Kultur sei. Adolf Loos erhielt noch eine Geldstrafe, als er sein Haus in Wien am Michaeler-Platz ohne die damals übliche Ornamentik bauen ließ. Le Corbusier wandte sich zeit seines Lebens gegen den Akademismus und wurde deshalb von vielen Aufträgen ausgeschlossen. Jede dieser Haltungen zum Thema Baukultur hat eine moralische Färbung. In den 1970er Jahren begann man die Siedlungen der Moderne zu kritisieren. Heute wirbt die Immobilienbranche mit dem Slogan: So schön wohnen wie im Altbau. Die Postmoderne brachte eine Befreiung vom Bauhausdiktat. Die schlechte Auftragslage und die starke Konkurrenz zwingen heute die Planer dazu, keine starren Meinungen zu vertreten. Sind die Ideologien heute aufgehoben?  Bruno Taut musste zur Zeit des Nationalsozialismus nach Japan flüchten und später in der Türkei arbeiten. Im Fischtal (Berlin Zehlendorf) stehen sich in einer Straße die unterschiedlichen Beispiele von Baukultur gegenüber. Auf der einen Seite Taut und gegenüber Tessenow. Man sprach seinerzeit vom Dächerkrieg.

Was ist dabei Baukultur? Die bundesdeutsche Stiftung Baukultur versucht dieses Thema neu anzugehen. Mein Credo ist, dass es hier nicht um Stil geht, nicht um die Fassade, sondern um die Funktionen und um die Vermittelbarkeit. Die Bürgerschaft muss mitgenommen werden. Eine demokratische Gesellschaft hat eine Vermittlungsnotwendigkeit und dies gerade bei öffentlichen Bauten. Der Beteiligungsaspekt entstand in den 60er Jahren aus der Kritik an den damaligen Großsiedlungen. Pluralität steht gegen Orthodoxie. Die nachfolgende Postmoderne hat diesen Aspekt wieder etwas in den Hintergrund gedrängt. In meiner Arbeit als Planer habe ich mich bemüht, über Wettbewerbe die Baukultur zu fördern, auch indem ich möglichst viele Bebauungspläne entwickelt habe. Im 4.Jahrh. v.Chr. hieß es „Die Männer sind die Stadt“, heute müsste es heißen: "die Männer und die Frauen…"

Nach der Einleitung wird gegen 19:00 Uhr ein Film über die städtebauliche Situation Potsdams gezeigt. Es geht um die Frage, in welchen Stadtgebieten weitere bauliche Entwicklungen möglich sind, so etwa für den Landtag Brandenburg. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem Aufbau des zerstörten Stadtschlosses.

Im Anschluss an den Film erläutert Richard Röhrbein die geschichtliche Entwicklung Potsdams. Seit einem Edikt aus dem Jahr 1685 bemüht man sich in Potsdam um Landschaftsverschönerung. „Bevölkern“ und „verschönern“ war die Devise. Schönheit begründete quasi das Königtum und rechtfertigte die Herrschaft. Während die Stadt unter dem Soldatenkönig zunächst eine Garnisonsstadt war, entwickelte sich Ende des 18.Jahrhunderts eine Weberstadt im Süden. Mit der Anlage der Gärten und Schlösser sollte eine paradiesische Traumlandschaft entstehen, eine Harmonisierung und Befriedung zur Stabilisierung der Herrschaft. Kaiser Wilhelm schwenkte um auf wissenschaftliche Parks, in den folgenden Jahren wurde das Interesse mehr auf den Wohnbau gerichtet. Nach der starken Zerstörung im zweiten Weltkrieg wurde in der DDR der Hochhausbau vorangetrieben.

Nach der Pause (19:50) wird ein weiterer Film gezeigt. Darin geht es um eine Kritik an den Neubauten an der Glienicker Brücke und am Bahnhof, die im Konflikt gesehen werden mit der Eintragung der Potsdamer Parks in die Unesco-Welt-Erbe-Liste. (Dauer: 25 Minuten)

Anschließend geht Richard Röhrbein auf das Konfliktfeld mit der Unesco-Kommission ein. Kritik wurde u.a. daran geübt, dass der geplante neue Bahnhof in Potsdam direkt in der Pückler-Sichtachse stehe. Mit Prof. Martin Seiler von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat sich Röhrbein vor Ort auf die Suche nach dem Endpunkt dieser Achse gemacht. Doch konnte die Achse, die über den geplanten Bahnhof zum Park Sanssouci reichen soll, nur schwer festgestellt werden, weil mehrere Hochhäuser die Sicht verstellen. Die Kritiker der Bahnhofsplanung meinen jedoch, dass diese Hochhäuser nicht mehr lange stehen würden und dann nach deren Abriss der Bahnhof dem Blick im Wege stehen würde.

Auch bei der Wohnhausbebauung am Glienicker Horn spielten die Sichtachsen eine große Rolle. Beim Bauvorhaben im Filmstadtbereich Babelsberg erregte die Planung eines zunächst angestrebten 120 m hohen Turmes die Gemüter, der jetzt auf 60m reduziert wurde. Die Stadt steht immer im Konflikt: Will sie die Wirtschaft fördern oder nur den Tourismus. Viele Gesichtspunkte müssen miteinander verbunden werden. Die Bauleitplanung soll die gegensätzlichen Interessen in Einklang bringen. Denkmalschutzrichtlinien und Gestaltungssatzungen werden in Potsdam erst mit der Zeit erarbeitet.

Auch Kassel muss sich die Frage stellen, ob sie eine reine Tourismusattraktion werden will oder auch Dienstleistung und Handel zulassen muss. Die Stadt selbst hat in dem Prozess der Bewerbung zur Eintragung in die Unesco-Liste jedoch nicht allzuviel zu sagen. Röhrbein betont noch einmal, dass im Vorfeld der Unesco-Bewerbung rechtzeitig die rechtlichen Fragen klargestellt werden müssen.




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