07.05.2004
Protokoll zum 11. Gesprächsabend im Architektursalon am 7.5.2004
Lutz Katzschner: "Verhalten auf Stadtplätzen in Abhängigkeit vom Mikroklima"
Lutz Katzschner behandelte in seinem Vortrag die Ergebnisse eines von der
EU geförderten europaweiten Forschungsprojektes. Vergleichbare Aussagen
zum Klima und das davon abhängige Verhalten zu treffen – dafür
ist Europa mit seinen sehr unterschiedlichen Klimazonen zu groß und
zu vielförmig: Der Rahmen der Untersuchung erstreckte sich von England
- mit Cambridge auf der einen Seite – bis nach Griechenland - mit Athen auf
der anderen Seite. Es liegt auf der Hand, dass Aussagen über das Verhalten
von Menschen in Abhängigkeit vom Klima für diese Bereiche mit sehr
unterschiedlichen Klimaverhältnissen auch entsprechend unterschiedlich
ausfallen müssen. Während man in unseren Gegenden streng zwischen
Sommer- und Winterkleidung unterscheidet und diese Kleidung durchaus auch
relativ unabhängig von der tatsächlichen Temperatur trägt,
ist dies in südlichen Teilen Europas anders. Hier wird der dicke Pulli
getragen, wenn es kalt ist und nicht weil der Kalender sagt, dass jetzt Winter
sei. Ähnlich auffallend sind die Unterschiede beim Verhalten unter Lärmeinwirkung:
Auch hier wird unterschiedlich gewertet. Kasseler sind eher lärmempfindlich.
Die Lärmintensität in Kassel reicht erstaunlicherweise an die Werte
größerer südeuropäischer Städte heran. Dort aber
wird der Lärm offensichtlich als nicht so störend empfunden.
Die Betrachtung solcher Bezüge zwischen dem Klima und dem menschlichem
Erleben und Verhalten gehört zum Fachgebiet der Humanbiometeorologie.
Hier wird die Wirkung des Klimas auf den Menschen untersucht. Wärme
oder Kälte, Lärm, Lufthygiene bzw. Luftqualität, UV-Strahlung,
Gerüche – um diese Faktoren geht es im wesentlichen.
Unterscheidungen zwischen Stadt und Land sind bedeutsam: Beispielsweise herrscht
in der Stadt weniger Wind. Dafür ist es dort etwas wärmer als auf
dem Land. Die Feststellung „wärmer“ geht dabei von der eigenen Energiebilanz
des Körpers aus: Bei einer Hauttemperatur von 33°C und einer Körper-Innentemperatur
von ca. 37 °C bedeutet Frieren einen Abzug von Energie (und umgekehrt).
Der wissenschaftlich ermittelte PET-Wert der Behaglichkeit liegt zwischen
18 und 23°C und bezieht mehrere Faktoren mit ein wie z.B. den Luftzug,
also Wind, die Luftfeuchte und die Strahlungstemperatur, aber auch den Lärm
und das Licht (PET = Physiologisch Äquivalente Temperatur).
Für das Forschungsprojekt wurden diese Werte vor Ort mit einem kleinen
fahrbaren Laborwagen gemessen, aber es wurden auch Bebachtungen notiert,
wie z.B. die Kleidung der Personen und ihre aktuelle Tätigkeit. Sie
wurden auch gefragt, was sie unmittelbar davor gemacht hatten und was sie
in nächster Zukunft tun wollten. Diese Faktoren hatten großen
Einfluß auf das Verhalten. Junge und alte Menschen reagieren jeweils
unterschiedlich. Der größte Einfluß ging von den Werten
für Wind und Strahlung aus, erstaunlicherweise relativ unabhängig
von der Temperatur.
Lutz Katzschner hatte gehofft, auch Kassel in das EU-Projekt mit einbeziehen
zu können. Daher wurden Messungen auf dem Florentiner Platz und auf
dem Bahnhofsplatz gemacht. Das EU-Projekt hätte die Möglichkeit
geboten, voraussichtlich nicht unerhebliche EU-Mittel zur Platzumgestaltung
zu erhalten. Der damalige Stadtbaurat gab dem Projekt keine Unterstützung.
Katzschner äußerte jedoch die Hoffnung, dass im Zuge des Umbaus
für die Regiotram Veränderungen am Platz vorgenommen werden und
man hier auf die Ergebnisse seiner Studie zurückgreifen wird.
Während er für den Bahnhofplatz einzelne gestalterische Vorschläge
für erforderlich hielt, die auf eine Reduzierung der Windbelastung abzielen,
meinte er, dass am Florentiner Platz keine Änderungen notwendig seien.
Der Platz biete durch seine unterschiedliche Gestaltung viele Möglichkeiten,
sich je nach Witterung einen entsprechenden Platz zu suchen. Im heissen Sommer
bieten die Bäume Schatten, kleine Steinmäuerchen speichern in der
Übergangszeit die Strahlung und geben sie dosiert wieder an die Umwelt
ab. Bäume lassen eine Beschattung großer Bereiche zu, ohne den
in der Stadt notwendigen Luftdurchzug zur Abfuhr schädlicher Stoffe
gänzlich zu verhindern. Insofern sind Maßnahmen zur Verhinderung
von Zug nochmal zu überprüfen.
(Eine englische Fassung der Studie
von Katzschner ist als pdf-Datei auf der Seite "Texte" zu finden.)
In der Diskussion sprachen sich mehrere Gäste für eine baldige
Umsetzung dieser Arbeit aus. Als Möglichkeiten wurde die Einbeziehung
in Wettbewerbs-Ausschreibungen diskutiert sowie die Vorprüfung im Rahmen
der Bauantragstellung bzw. Genehmigung, wie es bereits seit längerem
etwa in Stuttgart üblich sei. Die Einbeziehung dieser Aspekte in die
Bauleitplanung erscheint dagegen schon weitgehend durchgesetzt. Doch im Bereich
des Bahnhofs Wilhelmshöhe wurde bei den neuen Bebauungen nicht auf die
Frischluftschneise vom Wald in Richtung Stadt geachtet; nachträglich
konnte man diesen Fehler nicht mehr korrigieren, was in der Folge zu einer
Überhitzung des Bereiches führte. Es zeigt sich immer wieder, dass
bei architektonischen Objekten die Rücksicht auf das Mikroklima vernachlässigt
wird. Bepflanzungen an den Hausecken oder Fassadenbegrünungen können
aber unangenehme Zugerscheinungen deutlich verringern.
Die Diskussion wird
bei einem Glas Wein fortgesetzt.
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