05.03.2004



Protokoll zum 10. Gesprächsabend des Architektursalon am 5.3.2004

Lenelis Kruse: "Ort, Raum, Verhalten"




Mit leichter Verspätung beginnt die Veranstaltung im vollbesetzten Architektursalon. Zunächst stellt Sylvia Stöbe Frau Professor Lenelis Kruse und das für diesen Abend vorgesehene Thema vor. Anschließend beginnt Frau Kruse mit ihrem Vortrag.

Einleitend stellt sie eine Beziehung zum Grünen Salon im Hause von Max Weber her und auch zu dem bekannten Werk von Jürgen Habermas über den Strukturwandel der Öffentlichkeit aus dem Jahr 1962, in dem die bürgerlichen Salons erwähnt werden.

Der Kern ihrer Ausführungen handelt von der Aktualität architekturpsychologischer bzw. umweltpsychologischer Fragestellungen. Während es ab Mitte der 70er Jahre bis Mitte der 80er Jahre geradezu einen Boom zu dieser Thematik gegeben habe, spielte das Thema in den 90er Jahren eher keine Rolle mehr. Die Frage sei heute, ob mit einem Wiederaufleben des Interesses gerechnet werden könne. Anzeichen hierfür gebe es bei Projekten für bestimmte Randgruppen, wie z.B. Demenzkranke, Alte, Behinderte, Schüler u.a. Des Weiteren könnte dieses Thema im Bereich der Überlegungen zur Nachhaltigkeit eine Rolle spielen, wo bisher der bauliche Aspekt eher stiefmütterlich behandelt wurde.

Frau Kruse stellt sodann die Aufgaben und Grundlagen der Umweltpsychologie in einem kurzen Überblick dar. Sie halte eine Aufteilung der Umwelt in einerseits natürliche Umwelt und andererseits von Menschen gemachte Umwelt nicht für eigentlich sachgerecht. Im Grunde gehe es doch darum, die Umwelt zum einen an die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen und zum andern sich mit einem veränderten Verhalten an die Umweltgegebenheiten anzupassen. Der erste Bereich sei der Architekturpsychologie zuzuordnen, der zweite dem Umweltschutz.

In jedem Fall sollte man erst einmal von der Wahrnehmung ausgehen, denn die Bedeutung von Umwelt sei je nach Wahrnehmung unterschiedlich. Außerdem sollte man die Umwelt immer als ein soziales Konstrukt begreifen.

Nach Uexküll werde die Umwelt begrifflich in eine Wirkwelt und eine Merkwelt unterteilt. In dieser Welt gehe es um artspezifisches Verhalten. Kurt Levin hat auf die Valenz hingewiesen, auf den Aufforderungscharakter von Dingen. Dinge können Produkt eines Interesses, Produkt von Wünschen und Erwartungen sein. Wünsche ändern sich jedoch. In der aktiven Auseinandersetzung mit den Dingen verändert sich ihr Gebrauch und ihr Aussehen (Aneignung).

In diesem Prozess sei von einem Raumgebrauch auszugehen, dem immer erst ein Raumerleben vorangehe. Raum entstehe erst durch die Sinne, im Prozess von Wahrnehmung von Raum, in der Bewegung durch den Raum. Raum werde immer mit Bedeutung aufgeladen. Das „Oben“ und das „Unten“ werde sehr unterschiedlich empfunden. Wahrnehmungsraum und Handlungsraum seien direkt aufeinander bezogen. Der Horizont sei dabei keine feste Größe, er verändert sich mit der Bewegung im Raum. Der Handlungsraum geht direkt von unserem Leib aus, die Greifnähe von Gegenständen bestimmt ihre Platzierung und ihren Gebrauch. Räume haben einen Aufforderungscharakter, dieser wird jedoch von verschiedenen Menschen jeweils anders erfahren. Ein junger Mensch wird eine Treppe gern emporsteigen, ein älterer wird dies wegen Knieproblemen eher als Belastung empfinden.

Wahrnehmungsraum und Handlungsraum seien immer auf den Leib und seine sensorischen und körperlichen Möglichkeiten bezogen. Auch die Stimmungen, die mit einem Raum in Verbindung gebracht werden, lassen oft auf die eigene Gestimmtheit schließen. Ein depressiver Mensch wird den Raum eher düster empfinden, der einem fröhlich gestimmten hell erscheint. Der Raum wird von einem Menschen mit zielgerichteter Handlung anders erlebt als von einem mit nicht zielgerichteter Handlung (beispielsweise beim Tanzen, Bummeln). Solche Bedeutungsdimensionen können über das semantische Differential erfaßt werden.

Die Disziplin der Architekturpsychologie entstand in den 60er Jahren in England und in Amerika. Der Anstoß ergab sich aus den Umweltbereichen für psychisch Kranke. Humphrey Osmond und Robert Sommer versuchten Räume zu finden, die die Kommunikation fördern. Sie unterschieden „soziopetale“ und „soziofugale“ Räume, d.h. Räume, die die Gemeinsamkeit fördern und solche, die sie eher verhindern. Robert Sommer und E.T Hall entwickelten das Konzept des „personal space“, des personalen Raumes, der von der Territorialität ausgeht und von zwischenmenschlichen Distanzen aufrechterhalten wird („proxemics“). In den USA hat sich besonders David Canter mit der Arbeitsumwelt befaßt und mit der „Psychology of Place“ eine Architekturpsycholgie begründet. Kevin Lynch entwickelte durch seine Arbeiten zum Bild der Stadt das „cognitive mapping“, eine Methode, die die Orientierungspunkte und Orientierungsfähigkeit in der räumlichen Umwelt zum Thema machte.

In den 60er Jahren wird von Alexander Mitscherlich die Kritik an einem „unwirtlichen“, seelenlosen Wiederaufbau der Städte formuliert. Das Fragen nach der Ortsidentität, der symbolischen Ortbezogenheit, des sich-zu-Hause-fühlens, des Vertrautseins bringt Anstösse für eine stärkere Bereitschaft von Architekten, Stadtplanern, Psychologen und Soziologen zur Zusammenarbeit. Doch kann die Psychologie, da sie auf diesem Gebiet bisher keinen Forschungsvorlauf hat, hier noch nichts Konkretes bieten. Umgekehrt hat die Architektur den Nutzer noch nicht als wichtigen Partner in der Planung erkannt. Sie verlangt von der Psychologie quasi Rezepte des Handelns, die diese aber nicht liefern kann. Auch die Soziologie hat die Umwelt noch nicht als Thema ihrer Forschung erkannt. Die Folge ist Enttäuschung. Man könne hier von einer Perspektivendivergenz sprechen.

Forschungsverfahren, die das Ziel haben, die Eignung der räumlichen Objekte auf ihre Nutzung hin zu überprüfen, - wie etwa die Methode der POE („post occupancy evaluation“) - seien in den USA für öffentliche Bauvorhaben festgelegt, in Deutschland werden sie dagegen sehr selten angewendet. Gewisse Hoffnungen könnten sich aus den Überlegungen zur Nachhaltigkeit ergeben. Das Ziel sollte es hier sein, die ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Bereiche stärker miteinander zu verknüpfen.

Auf den einstündigen Vortrag von Frau Kruse folgt nach einer kurzen Pause die Diskussion.

Es werden zunächst Fragen zur möglichen Einflussnahme auf das Verhalten über den Raum gestellt. Frau Kruse sieht hier keine Möglichkeit zur Determinierung von Verhalten. Von der baulichen Umwelt könnten grundsätzlich nur Angebote gemacht werden, Verhalten könne dadurch gefördert oder behindert werden. Welches Verhalten aber gefördert werden soll und welches behindert werde, stehe u.a. in Abhängigkeit von Fragen der Struktur bzw. Hierarchie von Nutzern, Planern, Auftraggebern etc.. Zu entscheiden sei beispielsweise, ob bei einem Krankenhausprojekt eher die Belange des Pflegepersonals oder der Patienten oder der Ärzte gefördert werden.

Herbert Glasauer spricht noch einmal das Problem der Bestimmung von Bedürfnissen an. Im Grunde sollte man vielleicht nicht mehr über Bedürfnisse sprechen, jedenfalls nicht in dem Sinne der Maslow’schen „Bedürfnispyramide“. Frau Kruse stimmt diesen Bedenken zu: Die Maslow’sche Pyramide sei nie empirisch belegt worden. Bedeutungen, Erwartungen, Interessen sind gruppenspezifisch und folgen kulturellen Mustern und Gewohnheiten.

Lutz Katzschner weist auf die unterschiedliche Herangehensweise von Naturwissenschaftlern und Psychologen hin. Die einen messen Quantitäten, die anderen beschreiben Qualitäten. Wie könne hier eine Übereinstimmung zustande kommen.

These zum Schluss: Die ideale Lösung für die Planung der baulichen Umwelt könnte vielleicht das „responsive design“ darstellen, gleichsam die anpassbare Umwelt. Wesentlich zur Problemorientierung und Problemlösung sei auf jeden Fall die Transdiziplinarität.


Gegen 22:30 endet die Diskussion, Der Abend klingt aus bei einem Glas Wein.







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