Überflüssige Städte?

Wolfgang Kil



Bringt das Ende des Industriezeitalters das Aus für die europäische Stadt?

Mit dem beispiellosen Programm „Stadtumbau Ost“ reagieren Bund und Länder auf den Rückgang an Bevölkerung, der die meisten ostdeutschen Städte in den letzten Jahren massiv betroffen hat. Inzwischen stehen über eine Million Wohnungen leer, Tendenz unaufhaltsam steigend. Besonders gravierend betroffene Städte wie Leipzig, Halle oder Wittenberge machen deutlich, dass es sich hierbei nicht um ein Fiasko der Plattenbaugebiete, sondern offenbar um eine fundamentale Krise der traditionellen europäischen Stadt handelt.

Der Strukturwandel, in dessen Folge die Neuen Bundesländer innerhalb von zehn Jahren flächendeckend deindustrialisiert wurden, zeitigt nun seine demografischen Folgen: Die massive Abwanderung vor allem aktiver Bevölkerungsteile in die Industriezentren West- und Süddeutschlands stürzt viele Orte in eine existenzielle Krise. Nicht nur Städte, auch ländliche Regionen laufen regelrecht leer: einstmals dünn besiedelte Landschaften, zu DDR-Zeiten massiv gefördert, die jetzt wieder in den vorindustriellen Status zurück zu kippen drohen – jetzt als neue Problemregionen einer „globalen Peripherie“.

Der Verlust der alten Industrien ist unwiderruflich. Skeptische Prognosen gehen für 2050 von einer Halbierung der ostdeutschen Bevölkerung aus, und damit von einem Land, das mit dem uns heute vertrauten nur noch wenig zu tun haben wird. Werden die verlassenen Gegenden also verwildern? In Schwedt gibt man die äußeren Randlagen der Neustadt bereits an den Wald zurück. Droht dieses Schicksal auch historischen Kleinoden wie Stralsund, Görlitz, Meißen oder Sangerhausen? Wie überleben Städte, die keiner braucht?

Wolfgang Kil
Geb. 1948 in Berlin
1967-72 Architekturstudium in Weimar, danach Arbeit als angestellter Architekt in Ostberlin
1978-82 Chefredakteur der Zeitschrift FARBE UND RAUM, anschließend freier Kritiker und Publizist,  1992-94 Redakteur bei der BAUWELT, seither wieder freiberuflich tätig.
Lebt in Berlin

1993 und 2001 Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer
1997 Kritikerpreis des BDA
2002 Journalistenpreis des Märkischen Presse- und Wirtschaftsclubs
Veröffentlichungen:
Hinterlassenschaft und Neubeginn, Leipzig 1989.
Land ohne Übergang (Fotos: Joachim Richau). Berlin 1992.
Gründerparadiese. Vom Bauen in Zeiten des Übergangs, Berlin 2000
Neue Landschaft. Sachsen (Hrsg.), Dresden 2001
Werksiedlungen der Lausitz (Fotos: Gerhard Zwickert). Dresden 2003






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